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TONSTUDIOS
scheint eine A ntw ort zu liefern. Die M usi-
ker sind nicht nu r herausragend, sondern
auch sehr fokussiert, selbst w enn der Tag
n icht so gut läuft oder Stress au& om m t.
E inm al b rich t Peacock un zu fried en ab,
doch Eicher interveniert: „W ir beenden
das Stück. Es klang gut. D an ach d a n n
etwas anderes.“ Er w eiß genau, w ann er
die M usiker m it welchen W orten m otivie-
ren u n d w ann er sie noch m eh r fordern
kann. Er hat eine extrem gute Intuition
dafür, was funktioniert und was nicht, ob
es die w iederholte E inladung zu „freier
Bew egung“ im Spiel ist, die Reihenfolge
d er Soli o d er die E n tsch eid u n g , w an n
die M usiker besser selbst in den Regie-
rau m h erü b e rk o m m en sollten, u m die
eben gespielte A u fn ah m e no ch einm al
anzuhören. A m M orgen noch stand die
Frage im R aum , ob die A u fn ah m e m it
oder ohne K opfaörer stattfinden soll. Pea-
cocks G ehör lässt m it Ende 70 zwar lang-
sam nach, doch Eicher bestärkt ihn: „D u
hast so viel besser geklungen ohne K opf-
hörer, viel natürlicher, organischer und
integrierter. Es klingt wie du, n ich t steif
u n d künstlich.“ A uch Joey B aron stim m t
zu: „M it K opfaörern höre ich nicht genug.
Ich höre das Helle n icht.“
Später, als es dan n g ut läuft, stehen die
vier erfahrenen H erren beim D u rch h ö -
ren der letzten A ufnahm e im Regieraum
u n d schauen sich w issend an. Sie nicken
sich reihum n u r zu u n d strahlen n u n ein
wenig. Sie wissen, dass sie das Richtige
gefunden haben. Das ist in der Tat sofort
h ö rb ar, au ch w en n m a n v o rh e r n ich t
hätte b en en n en können, was zu verbes-
sern gew esen wäre.
M an h at das Bild schon gesehen, auf
einem Foto oder als Szene in ECM -D o-
k u m e n tatio n en : M a n fred E icher ta n zt
im R egieraum . A uch h ier tan zt er w ie-
der, alleine u n d m it G ary, u n d in diesem
M om ent ist die Freiheit, die schw ebende
Energie, die Leichtigkeit, die er gesucht
hatte u n d die wir an den zahllosen A uf-
nah m en im ECM -K atalog so lieben, n u n
ist sie im Raum. U nd Jan Erik hat sie m it-
geschnitten, der freundliche, ruhige H err
am M ischpult.
In go J. B ierm a n n
„ E i n
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t u
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h r e n
i s t m e i n
L e b e n "
Der Trompeter Hayden P ow ell erzählte
mir, dass Bands im Studio aus finanziel-
len Gründen häufig auf einen Produzenten
verzichten. A ber hier beobachte ich, w ie
viel selb st sehr erfahrene M usiker von der
Zusammenarbeit m it Manfred Eicher profi-
tieren.
Wenn junge Bands heutzutage keinen Pro-
duzenten mitbringen, ist das natürlich zu-
nächst ein demokratischer Prozess: Jeder
hört die Aufnahmen vor der Mischung an und
sagt seine Meinung dazu, wie es klingen soll
und was aufs Album kommt. Aber mit einem
Produzenten kann man das direkt entschei-
den. Und es ist auch gut, eine Person zu ha-
ben, die den Blick aufs Ganze hat, während
jeder einzelne Musiker jeweils ein bisschen
egoistisch sein und eher auf seine eigenen
Bereiche schauen kann.
W olltest Du etw a s anders machen, als Du
1984 Dein eigenes Studio eröffnetest?
Nein. Der Grund, warum ich Rainbow auf-
baute war, dass es in Norwegen keine ande-
re Option gab. Ich musste mich entscheiden,
ob ich weiterhin ständig nach New York rei-
se, aber in Oslo lebe, oder ob ich selbst et-
was anfange. Wenn du verheiratet bist und
drei Kinder hast, ist es nicht so toll, die ganze
Zeit unterwegs zu sein.
Was unterscheidet Dein erstes Rainbow
Studio, das Du 20 Jahre lang betreutest,
vom aktuellen?
In puncto Akustik haben wir jetzt einen viel
besseren Ort. Da diese sehr trocken ist, wäre
sie für Live-Konzerte weniger geeignet. Aber
die Akustik ermöglicht, dass zum Beispiel
Gary Peacock am Bass und Joey Baron an
den Drums fast direkt nebeneinander spielen
können: Wie früher muss der Schlagzeuger
seine Lautstärke an den Bassisten anpassen,
sonst funktioniert es nicht. Das ähnelt etwas
den Aufnahmen in den 60ern, zum Beispiel
aus dem Village Vanguard, wo die Musiker
Dynamik gestalteten, indem sie aufeinan-
Jan Erik Kongshaug bereiste als Gitarrist
auf einem Kreuzfahrtschiff die W elt, bevor er
Elektrotechnik studierte und ab 1967 im Arne
Bendiksen Studio in Oslo arbeitete. Dort lernte
er 1970 Manfred Eicher kennen, der damals
gerade sein Label ECM ins Leben gerufen hatte
der hörten. Wir konnten die Instrumente in der
Aufnahme nicht restlos voneinander separieren,
weil die Musiker so nah beieinander stehen woll-
ten, haben den Klang aber sehr gut und organisch
eingefangen. Heuzutage ist so eine Session sehr
untypisch. Sonst versucht man, das Schlagzeug
akustisch stärker abzukoppeln, und da jeder sei-
nen Monitor hat, brauchen sich die Musiker über
die Dynamik untereinander keine Gedanken mehr
zu machen.
Verwendet Ihr b ei anderen solcher Aufnah-
men m it Manfred Eicher häufiger solche Set-
ups ohne Kopfhörer?
Nein, das ist sehr selten. Hier war es so, dass
Gary das wollte. Er wollte die Band nahe bei
sich haben. Die meisten Musiker können da-
mit gar nicht umgehen, weil sie es wegen der
individuellen Kopfhörermixe und der Verstärker
gewohnt sind, so laut zu spielen, wie sie wollen.
Du hast oft von den verschiedenen Hall-Va-
rianten gesprochen, die Du während Deiner
Laufbahn genutzt hast.
Entscheidend hat sich mein Umgang damit nicht
verändert. Ich nutze vielleicht acht oder zwölf
verschiedene Hall-Effekte, und für jedes Instru-
ment jeweils andere. Wie man die Effekte aufei-
nander abstimmt, ist eine Kunst. Wenn man
ein neues Spielzeug hat, gebraucht man es
womöglich zu viel. Das denke ich manchmal,
wenn ich Aufnahmen wiederhöre, die ich
vor 30 Jahren gemacht habe. „So viel Hall!"
Aber das ist ja nicht allein Sache persönli-
cher Vorlieben, sondern geschieht in der Ab-
stimmung zwischen Toningenieur, Produzent
und Musiker.
Wie viele Spuren und m it w elcher Technik
nimmst Du auf, konkret bei dieser Session
m it Piano, Kontrabass und Schlagzeug?
13 Spuren: acht fürs Schlagzeug, drei für den
Bass, zwei für den Flügel. Beim Bass bevor-
zuge ich den rein akustischen Klang, denn
der ist viel besser als das elektronisch direkt
an der Saite abgenommene Tonsignal. Mit
Hilfe einer Kombination von Effektgeräten
erzeuge ich dann individuell Raumklänge. Di-
gitale Plug-ins nutze ich nicht so gerne, lieber
echte Geräte wie das Lexicon 960. Es kommt
aber auch vor, dass ich ein Instrument gleich-
zeitig nah und etwas entfernt mikrofoniere, so
dass es ein wenig räumlicher klingt. Das geht
natürlich nur, wenn darüber hinaus nichts an-
deres gespielt wird, denn unser Studiosaal ist
nur begrenzt für Live-Atmosphäre zu verwen-
den - dazu müsste er größer sein. Prinzipiell
strebe ich immer an, dass die Instrumente
natürlich klingen, und ich verändere nur sehr
wenig an ihrem Klang in der Mischung. Mit
sehr guten Kondensator-Mikros geht es wun-
derbar, zum Beispiel mit dem Neumann M-149
oder Modellen von AKG. Wichtig ist aber vor
allem, dass die Instrumente gut tönen und die
Musiker Klasse haben.
Was w ird m it Deinem Studio passieren,
wenn Du eines Tages aufhören musst?
Gute Frage: Wer wird so viele Stunden arbei-
ten wollen und dafür so wenig zurückbekom-
men? In anderen Gewerben lachen sie über
uns: „Ein Studio zu führen, das kostet so viel,
und man verdient so wenig?" Aber für mich
ist das mein Leben.
20 STEREO 11/2014